Ein Erfahrungsbericht. Einen Vollzeitjob, Familien- und Privatleben sowie die Pflege eines Angehörigen unter einen Hut zu bringen, kann große Herausforderungen mit sich bringen, je nachdem wie intensiv der Betreuungsbedarf des Pflegebedürftigen ist.
Frau S. ist heute 56 Jahre alt. Über einen Zeitraum von 8 Jahren widmete acht Jahre ihres Lebens der Pflege ihrer Eltern, die damals im selben Dorf wohnten. Sie hat zwei Schwestern, die beide Kinder haben, und gemeinsam haben sie sich die Betreuung der Eltern aufgeteilt. Da Frau S. keine Kinder hat, konnte sie ihren Eltern besondere Aufmerksamkeit widmen.
Sie arbeitete damals Vollzeit im Finanzbereich. Ihr Vater (75 Jahre) litt seit Längerem an Herzproblemen, die ihn im Laufe der Zeit körperlich sehr einschränkten, denn er musste größere Anstrengungen vermeiden. Zusätzlich zu seinen Herzproblemen war er in seiner Mobilität eingeschränkt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Seine Frau (73 Jahre) erledigte die Hausarbeit so gut sie konnte und ein Hilfs- und Pflegedienst kam einmal täglich für die Grundpflege vorbei. Trotz dieser wertvollen Unterstützung brauchten die Eltern von Frau S. Hilfestellung beim Erledigen von Verwaltungsaufgaben, Arztterminen, Medikamentenvorbereitung und Einkäufen.
Später stellte sich heraus, dass die Mutter von Frau S. an einer beginnenden Demenz litt, die aber damals nicht sofort erkannt wurde, da man die Vergesslichkeit der Mutter auf die stressige Pflegesituation zu Hause zurückführte.
Frau S. besuchte ihre Eltern täglich und verbrachte abends, nach der Arbeit, oftmals ein paar Stunden dort. Wenn ein Arzttermin geplant war, musste sie früher von der Arbeit weg, da ihre Mutter keinen Führerschein hatte und sie ihren Mann nicht allein mit dem Rollstuhl transportieren konnte. Immer häufiger kam es vor, dass der Vater zuhause stürzte und Frau S. oder eine ihrer Schwestern spontan die Arbeit verlassen musste, um ihren Eltern zu Hilfe zu kommen. Die Pflegesituation spitzte sich immer weiter zu und Frau S. entschied sich dafür, ihre Arbeitszeit auf 95% zu reduzieren. Ihr Arbeitgeber genehmigte die Anfrage, die Aufgaben blieben allerdings unverändert. Dank eines guten Arbeitsverhältnisses konnte Frau S. bei Bedarf auf die zeitliche Flexibilität ihres Arbeitgebers zählen.
Dadurch profitierte sie von weiteren 13 freien Tage, die alle für die Begleitung und Betreuung ihrer Eltern aufgebraucht wurden. „Ich funktionierte!“, sagt Frau S.
„Ferien machte ich in der Zeit nie, das kam mir nicht mal in den Sinn. Ein Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben gab es nicht, ich ging arbeiten und pflegte meine Eltern. Dazwischen gab es nichts.“
sagt Frau S., Pflegerin ihrer Eltern
Wenn Frau S. sich gelegentlich einen Tag Auszeit nahm für einen kleinen Ausflug mit Freunden, war sie trotzdem über Telefon zu erreichen und häufig klingelte es dann auch genau in diesen Momenten.
Frau S. hatte Schuldgefühle, sie hatte Angst, die Pflegesituation ihres Vaters nicht bewältigen zu können. Trotzdem wollte sie ihre Arbeit nicht aufgeben, denn die Zeit im Büro lenkte sie ab. Sie konnte sich auf andere Aufgaben konzentrieren und war in Kontakt mit ihren Arbeitskollegen. In der Firma zeigten die Mitarbeiter jedoch wenig Verständnis für ihre private Situation. „Man versteht es erst dann, wenn man selbst eine ähnliche Situation erlebt“, sagt Frau S..
Im Laufe der Zeit hat die Familie zahlreiche Unterstützungsangebote angenommen: die Installation eines Treppenliftes, das Liefern von Essen auf Rädern, ein Notrufsender sowie zusätzliche tägliche Besuche eines Pflegedienstes.
Als die Situation nicht mehr tragbar war, hat die Familie gemeinsam beschlossen, den Vater in einem ortsnahen Pflegeheim unterzubringen. Diese Umstellung gestaltete den Alltag aller Beteiligten etwas entspannter. Frau S. wechselte ihre Arbeitsstelle innerhalb des Betriebes und konnte wieder Vollzeit arbeiten. Erst in diesem Moment überkam sie ein Gefühl der Erschöpfung, das sie in den vergangenen 6 Jahren so nicht erlebt hatte.